Im Duden wird das Wort “Netiquette” als “Gesamtheit der Regeln für soziales Kommunikationsverhalten im Internet” beschrieben und es handelt sich dabei um einen Anglizismus aus den Wörtern “net” (Internet) und etiquette (Etikette). Aber was genau steckt dahinter? Gibt es Unterschiede zu der herkömmlichen Etikette aus dem “echten” Leben? Geht es hier nur um Höflichkeiten oder vielleicht um viel mehr?
Die Definition
Um das zu klären möchte ich mir das Wort “Etikette” noch etwas genauer ansehen. Auf dem Wikipedia Eintrag zu dem Wort “Etikette” findet man folgendes dazu: “Die Etikette (von französisch étiquette), auch Benimmregeln genannt, ist ein Verhaltensregelwerk, welches sich auf zeitgenössische traditionelle Normen beruft und das die Erwartungen an das Sozialverhalten innerhalb gewisser sozialer Kreise beschreibt.”
Haltbarkeit von Verhaltensregeln
Spannend finde ich an diesem Satz die Wörter “Verhalten” und “zeitgenössisch”. Kurz gesagt, nur weil etwas gestern noch richtig war, heißt das nicht, dass es heute auch noch so ist. Viele Organisationen haben langjährige Verhaltensregeln und -muster entwickelt, die bisher wunderbar funktionierten. Was ist aber, wenn sich diese nicht mehr 1:1 auf die digitale Welt abbilden lassen?
Netiquette und Kulturwandel
Eine Netiquette kann nur sehr schwer zentral vorgegeben oder von Führungskräften angewiesen werden. Im beruflichen Kontext haben wir Ziele, die meistens von unseren Arbeitgebern über Regeln im Arbeitsvertrag vorgegeben werden und über definierte Prozesse erreicht werden sollen. Wie diese Ziele allerdings im Kollektiv innerhalb einer Organisation erreicht werden, hängt weitestgehend von der Arbeitskultur ab. Diese wird häufig von impliziten Verhaltensregeln geprägt, welche widerrum aus Wünschen und Vorgehensweisen unserer Kollegen resultieren. Sie entsteht also direkt aus der Interaktion der Individuen eines Schwarms heraus. Deshalb ist es auch so schwierig bewusst eine Kultur zu verändern.
Kulturwandel und Digitalisierung
Die Einführung von digitalisierten Arbeitsabläufen und dazugehörigen Werkzeugen bedeutet nicht zwangsläufig auch eine Steigerung von Effizienz und Effektivität. Die Arbeitskultur innerhalb der Organisation ist maßgeblich für die Akzeptanz der neuen Abläufe entscheidend und muss sich langsam und stetig an die neue Situation anpassen. Daher ist es wichtig den Kulturwandel und damit verbundene Maßnahmen nicht zentralistisch/autoritär vorzuschreiben, da daraus oft nur Ablehnung resultiert. Ein Kulturwandel gelingt nur freiwillig, wenn jeder an die gleichen Werte, Ziele und Vorgehensweisen glaubt und spürt, dass die Veränderung in seinem Interesse ist (z.B. durch Erleichterung des Alltags). Kleine Verbesserungen müssen evangelisiert und vermarktet werden, um neue Mitstreiter zu finden.
Communities of Practice als Katalysator für den Kulturwandel
Sinnvoll ist auch der Aufbau von zweckgebundenen Communities, die den Kulturwandel treiben und aktiv nach weiteren Mitstreitern suchen. Diese Communities sollten von Führungskräften durch monetären Einsatz (Kaffetassen, Sticker, T-Shirts, Poster), Mitspracherecht bei Entscheidungsfragen (z.B. bei Toolauswahl, Prozessdefinitionen, explizit machen von Werten und Benimmregeln) und Freiräume (Erlaubnis Zeit in diese Communities zu investieren) unterstützt werden. Auf diese Weise wird die Veränderung für jeden transparent und greifbar. Gleichzeitig lassen sich Ängste und Vorurteile durch geschickte Moderation und Überzeugungsarbeit aus dem Weg räumen. Eine Fehlentwicklung der Arbeitskultur ist damit wesentlich unwahrscheinlicher.
Fazit: Die Entstehung von Verhaltensregeln bzw. einer Netiquette entsteht in Organisationen meist aus freiwilligen Stücken. Digitale Kollaborationswerkzeuge entfalten ihr Potenzial nur dann, wenn man den dafür notwendigen Kulturwandel nicht außer Acht lässt und sich bewusst auf diese Reise einlässt. Führungskräfte sind gut beraten dabei soweit es geht zu unterstützen ohne manipulativ einzugreifen. Ein Kulturwandel lässt sich nicht kurzfristig planen. Er braucht Zeit, viel Motivation, Bereitschaft sich gegenseitig zuzuhören und am Ende auch viel Überzeugungsarbeit.